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Reparatur eines „Lenzkircher
Schauklers“
© Rainer Scheibel 2003 |
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Die Geschichte einer "eigentlich irreparablen" Uhr. |
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Anmerkung: Ein Beitrag für die UhrenH@nse von Rainer Scheibel. Rainer erzählt eine typische Sammler-Story: Die Geschichte einer "eigentlich irreparablen" Uhr, die er letztlich mit viel Mühe und großer Freude doch wieder erfolgreich zum Leben erweckt hat. Glückwunsch und herzlichen Dank, Rainer !! Fragen und Informationen an/für den Autor Rainer Scheibel. |
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Ganz zum Anfang möchte ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Rainer Scheibel, ich bin mittlerweile 32 Jahre alt und man kann sagen, das „Uhrenvirus“ hat mich so richtig gepackt. Dabei bin ich kein Uhrmacher, sondern eigentlich eher Elektroniker. Ich arbeite bei einem großen deutschen Hersteller für mikroelektronische Bauelemente, wobei ich hier wenig mit Elektronik zu tun habe. Ich bin mit der Entwicklung von Prozessen beschäftigt, welche eher chemischer bzw. physikalischer Natur sind. Eben ein Prozesstechniker. Diese Arbeit bereitet mir sehr viel Freude und bis vor 3 Jahren habe ich mir auch nichts Interessanteres vorstellen können. Da hatte ich nur ein bisschen Sport als Hobby. Aber manchmal kommt es völlig anders als man denkt ... Eigentlich begann alles damit, das ich vor gut 3 Jahren durch einen Zufall in den Besitz eines alten Regulators der Fa. Kienzle kam. Dieser war sehr schön anzusehen, aber leider war das Uhrwerk offensichtlich defekt, die Uhr ging nicht. Das war gewissermaßen die Stunde null, denn ich erkannte, das ich absolut nichts über mechanische Uhren wusste, obwohl mich alte Uhren schon ewig faszinierten, was Ihrem äußeren Erscheinungsbild geschuldet war. Fortan suchte ich diesem Manko schnellstens abzuhelfen und besorgte mir Fachliteratur. Zuerst war es mehr allgemein verständliche Literatur (Laurie Penman: „Alte Uhren reparieren“), welche ich gewissermaßen „verschlang“. Alsbald wurde mein Wissensdurst größer und ich wagte mich an speziellere Literatur, welche ich mir nach und nach zulegte wobei ich mich nach Möglichkeit auf Bücher aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konzentrierte. Wer wusste wohl besser über die Reparatur von Uhren Bescheid als die alten Meister ? Hier ein paar Beispiele meiner bibliographischen Schätze:
So vergrößerte sich also mein theoretisches Wissen, Buch für Buch, und mit diesem Wissen natürlich auch der Wunsch, es praktisch anzuwenden. Ich streifte über die Trödelmärkte, surfte bei eBay und erwarb alte Uhren bzw. Werke, welche ich wieder in Gang setzte. Diese Nachricht verbreitete sich unter der Verwandtschaft und bald schon hatte ich jede Menge zu tun. Man glaubt gar nicht, wie viele alte Uhren so im Besitz des einen oder anderen Onkels sind ... Innerhalb kurzer Zeit bekam ich es mit einer solchen Menge an Uhren zu tun, welche ich vorher nicht mal erahnt hatte. Die Anforderungen reichten dann auch von simplen Verharzungen bis hin zu ausgelaufenen Lagerbohrungen, Von fehlenden Gewichten bei Wiener Regulatoren bis hin zu abgebrochenen Wellenzapfen an der Ankerwelle einer Graham-Hemmung. Die Fehler wurden vielschichtiger und die Anforderungen an meinen Werkzeugpark wuchsen und wuchsen. Heute habe ich allein 6 Uhrmacherdrehstühle, 4 davon mit Spindelstock (6mm und 8mm), zwei als reine Spitzendrehstühle. Ich habe im Laufe der Zeit ein Vermögen bei eBay gelassen ... Da hatte ich nun also ein neues Hobby, welches mir nicht nur Vergnügen bereitete und Entspannung brachte, sondern auch meinen Blick für Dinge schärfte, welche ich noch vor 3 Jahren nicht beachtet hätte. Dies ist eines der besten Dinge, welche mir je passiert sind ... Die Kaminuhr Der 12. August 2001 war ein besonderer Tag. Meine Patentante aus Cottbus hatte Geburtstag und ich entschloss mich zu einem Besuch. Die Pflege von Verwandtschaftsbeziehungen ist schließlich auch wichtig. Außerdem bot sich die Möglichkeit , mal wieder einen Blick auf die wunderschöne Kaminuhr zu werfen. Das hatte ich auch lange nicht mehr getan. Zumal sich aus Sicht meines neuen Hobbys sicherlich andere, interessante Aspekte ergeben könnten ... Die Uhr stand dort, wo sie immer stand. Auf dem breiten Sims des Kamins im Wohnzimmer. Jedes Mal, wenn ich sie betrachtete, zog sie mich erneut in Ihren Bann. Das ging nun schon seit 20 Jahren so. Damals, als ich sie das erste Mal erblickte war ich ganze 11 Jahre alt und die Uhr stand noch im Schlafzimmer der Eltern meiner Patentante in Thüringen. Ich weiß noch das ich mir nichts sehnlicher wünschte, als diese Uhr mal in Funktion zu sehen. Aber das war leider nicht möglich. Die Uhr ging nicht, war seit Ewigkeiten defekt. Nicht einmal der inzwischen leider verstorbene Vater meiner Patentante konnte sich erinnern, die Uhr jemals in Funktion gesehen zu haben. Er hatte sie von seinem Vater geerbt, aber leider war sie auch da schon defekt ... Dies also war der Zustand der Uhr seit einer Ewigkeit. Es ist sicherlich nicht schwer, sich meine Überraschung vorzustellen, als ich durch einen Vergleich mit meiner Armbanduhr bemerkte, das die Kaminuhr auf einmal die richtige Zeit anzeigte und das auch noch ohne die geringste Bewegung des Pendels. Nun, das konnte gut und gern ein Zufall sein. Als die durch die Uhr angezeigte Zeit aber auch nach einer halben Stunde noch korrekt war, befragte ich meine Tante ob dieser merkwürdigen Tatsache. Was Sie mir darauf antwortete, ist bis heute unverständlich für mich. Aber urteilen Sie am besten selbst ... Wie kann man nur so etwas tun ? Diese Frage stellte ich mir immer und immer wieder, während ich der Erzählung meiner Tante lauschte. Es war einfach unglaublich. Mein Onkel, welcher es leid war, dass die Uhr einfach nur so auf dem Kamin stand, hatte die Kaminuhr zu einem bekannten Cottbuser Uhrmacher gebracht, in der guten Hoffnung, dass dieser das Werk wieder zum Gehen bringen würde. Der Uhrmacher, dessen Namen ich mit Absicht unerwähnt lasse, sah sich die Uhr an und seine Einschätzung war niederschmetternd: „Es tut mir leid, aber diese Uhr ist nicht mehr reparabel. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich könnte Ihnen ein Quarzwerk einbauen. Somit könnte die Uhr wenigstens Ihre Funktion erfüllen und die Zeit anzeigen“. Tja, und so geschah es dann auch. Meine Tante hatte wohl mein entgeistertes Gesicht gesehen. Sie ging zum Schrank, öffnete eine Schublade und hielt das originale Uhrwerk der Kaminuhr in der Hand. Mit den Worten: „Hier, das ist das alte Werk. Du kannst es ja mitnehmen und Dir mal ansehen“ händigte sie mir das Uhrwerk aus. Das war eine eindeutige Herausforderung, welche ich nur zu gern annahm. Jetzt wollte ich wissen was wirklich los war, mit diesem Uhrwerk ... Das Uhrwerk Der nächste Tag war ein Sonntag. Natürlich hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als mich in meine Werkstatt im Keller zu begeben und mir das Uhrwerk anzusehen. Ich wollte wissen, aus welchem Grund es nicht mehr reparabel sein sollte. Das Uhrwerk ist signiert mit dem bogenförmigen Schriftzug „Lenzkirch“, welcher über einem Tannenzweig steht. Darunter noch die Buchstaben „AGU“, wobei das „G“ tiefgestellt ist und zusammen mit „A“ und „U“ einen Tannenzapfen einrahmt. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit diesem Firmennamen nichts anfangen, was sich allerdings spontan änderte als ich ein paar Recherchen via Internet anstellte. Die Werksnummer ist die 67xxxx; das Werk stammt also vermutlich aus dem Jahr 1880, wie ich nach dem Lesen eines Artikels über die AG Lenzkircher Uhren im „Trödler und Sammler Magazin“; Ausg.: 7 / 2000 einschätzte. Diese Tatsache nötigte mir eine gehörige Portion Respekt ab und so wollte ich mir mit besonderer Gewissenhaftigkeit einen Eindruck über den Zustand des Werkes verschaffen. Schon Wilhelm Schultz hatte in seinem Buch „Der Uhrmacher am Werktisch“ dazu geraten, ein Uhrwerk möglichst so zu zerlegen, das man bereits bei dieser Tätigkeit auf eventuelle Fehler aufmerksam wird. Ich wollte mir also nichts entgehen lassen. Das Werk der Kaminuhr besteht nur aus einem Gehwerk, ein Schlagwerk war hier nie vorhanden. Bei der Hemmung des Werkes handelt es sich um eine Hakenhemmung mit Massivanker nach William Clement, welche quasi in gestürzter Bauweise angeordnet ist, da sich das Federhaus ganz oben befindet und die Ankerwelle mit dem Hakenanker die letzte Welle an der unteren Werksseite bildet. Das Werk ist ein „Tagesläufer“, da die Zähne des Federhauses direkt in das Minutentrieb eingreifen ohne eine zusätzliche Untersetzung durch ein Beisatzrad. Das Federhaus wird demzufolge auch links herum aufgezogen. Die wirkliche Besonderheit dieses Werkes besteht in der Umlenkung der normalen Bewegung des Ankers um 90° in der Horizontalen. Das bedeutet, das Pendel macht keine normale „rechts-links-Bewegung“, sondern eine Bewegung von vorn nach hinten. Da das Pendel auf Grund des Designs der Uhr als Schaukel ausgeführt ist, auf welcher ein Kind sitzt, wird hier die natürliche Bewegung dieser Schaukel als Pendelausschlag genutzt. Diese Form der Pendelbewegung ist nicht nur technisch sehr interessant, sondern auch optisch überaus ansprechend. Ich habe bisher keine andere Uhr gesehen, bei welcher das Pendel in dieser Art ausgeführt ist. Die Schadensanalyse Das erste, was mir bei der näheren Betrachtung des Werkes auffiel, war das Sperrrad. Es war zwar noch nicht ganz rund, viel fehlte aber nicht mehr. Die Sperrradzähne waren einseitig abgenutzt und auch die Sperrklinke sah arg mitgenommen aus. Aber das war erst der Anfang. Als ich die Schraube aus dem letzten Werkspfeiler entfernt und das Werk zerlegt hatte, fiel mir sogleich die Ankerwelle auf. Einer der beiden Lagerzapfer war verbogen, allerdings nicht sehr stark. Der Anker selbst sah sehr gut aus. Keine Spur von Abnutzung an den polierten Hebeflächen. Das machte Mut, denn ich hätte ungern einen massiven Anker nachgearbeitet. Mit dem Gangrad und seiner Welle sah es dann nicht mehr so gut aus. Hier war einer der beiden Zapfen weggebrochen, wobei es sich nicht um den Zapfen am Trieb handelte sondern um den anderen. Dies muss schon vor langer Zeit passiert sein, denn irgend ein „Künstler“ hatte in der Vergangenheit den Versuch einer merkwürdigen Reparatur unternommen: Auf der Innenseite der Platine, rings um die Lagerbohrung war eine etwa 3mm starke Schicht von Weichlot aufgebracht worden, welche dann noch mittels Feilen in eine rechteckige Form gebracht wurde. Diese Konstruktion sollte ein Lager darstellen, in welchem der Wellenstumpf ruhen bzw. rotieren sollte, da der „Reparateur“ offensichtlich nicht in der Lage war einen Zapfen einzubohren. Jetzt war ich gespannt, was da wohl noch kommen würde. Und es kam so einiges ... Die Minutenradwelle war optisch in Ordnung, keine Rauhigkeiten an Lagerzapfen oder Lagerbohrungen. Nur das Minutenrad selbst hatte offensichtlich gelitten. Einige Zähne waren verbogen, andere wiederum sahen aus, als wenn eine große Kraft von oben auf die Zähne gedrückt hätte. Die Zahnwälzung war bei diesen Zähnen teilweise ziemlich beschädigt worden. Aber das war leider noch längst nicht alles: Das Kleinbodenrad auf seiner Welle war das schlimmste, was ich bis dato gesehen hatte. Von der Welle waren beide Zapfen abgebrochen. Die Welle selbst war am Ansatz des Triebes ebenfalls abgebrochen. Dies muss zur selben Zeit passiert sein, als der „Weichlotkünstler“ sich das spezielle Lager für die Ankerradwelle ausdachte. Ob man es glaubt oder nicht, aber es wurde doch tatsächlich versucht, die abgebrochene Welle mittels Weichlot wieder an das Trieb anzulöten !!! Das dieser Versuch schief ging, ist sicherlich sonnenklar. Es würde mich auch nicht wundern, wenn nach diesem Missgriff erst die Zapfen abgebrochen sind. Aber das werde ich wohl nie mehr erfahren. Leider wurde offensichtlich versucht, das Werk mit diesen „Modifizierungen“ zusammenzubauen und zum Gehen zu bewegen, denn als ich mir das Kleinbodenrad selbst näher betrachtete, sah ich das eigentlich kein einziger Zahn mehr in Ordnung war. Alle Zähne waren entweder verbogen oder die Zahnwälzung war durch eine große Kraft ziemlich eingedrückt worden. Das sah echt schlimm aus. Aber wenn ein Uhrmacher sagt, dass das Werk nicht mehr zu reparieren sei, dann muss schon was Größeres nicht in Ordnung sein. Der krönende Abschluss war das Federhaus. Zwar waren alle Zähne in Ordnung, die Zugfeder selbst aber hatte schon bessere Tage gesehen. Sie war wohl dereinst gebrochen und vor langer Zeit mit zwei Nieten auf scheußliche Art wieder geflickt worden. Das sie dann auch noch falsch herum eingebaut wurde, ist eigentlich nur die Fortsetzung der „Reparaturversuche mit dem Holzhammer“ ... Nun, man kann sagen, ich war fürs erste geschockt. Das es so schlimm ist, hätte ich auch nicht gedacht. Aber was soll es, der Ehrgeiz war geweckt und nun hieß es zu sehen, das die Sünden der Vergangenheit durch solide Reparaturen im Rahmen meiner Möglichkeiten ersetzt wurden. Die Reparatur Da das Werk jetzt schon zerlegt war, begann ich mit einer gründlichen Reinigung in der Benzindose mit Waschbenzin. Zunächst die Platinen, welche anschließend mit einem sauberen Baumwolllappen abgewischt und mit dem Fön nachgetrocknet wurden. Als nächstes folgten die einzelnen Wellen mit den Rädern und Trieben oder was von diesen Wellen übrig war. Danach reinigte ich die Lagerbohrungen und Ölsenkungen mit Putzholz, anschließend auch die Zwischenräume zwischen den Triebzähnen. Die Räder selbst wurden mit einer feinen Messingbürste sanft ausgebürstet. Diesen Trick habe ich aus dem Buch von Laurie Penman übernommen und machte damit sehr gute Erfahrungen. Damit war nun die Vorarbeit geleistet, die eigentlichen Reparaturen konnten beginnen. Als erstes ging ich daran, das „Ersatzlager“ aus Weichlot von der Innenseite der Platine zu entfernen. Dies geschah zunächst eher grob durch förmliches Abhobeln mit einem Werkzeug, welches eigentlich für das Auslöten von SMD-Bauelementen gedacht ist. Hier leistete es sehr gute Dienste. Die verbliebene, dünnere Zinnschicht wurde dann mit Hilfe eines Lötkolbens, einer Lötsaugpumpe und Lötsauglitze noch weiter ausgedünnt und letztendlich mit Stahlwolle feinster Nummer auspoliert so gut es ging. Der Bereich, an welchem die Wellenschulter wieder laufen würde, war komplett vom Zinn befreit, darüber hinaus ist noch eine dünne, silbrige Stelle zu erkennen. Ich vermied es aber, die gesamte Platine deswegen zu polieren. Die Patina sollte möglichst erhalten bleiben. Die Lagerbohrung selbst, welche unter der Schicht aus Weichlot zum Vorschein kam, sah sehr gut aus. Sie war weder eingelaufen, noch sonst wie beschädigt. Ich reinigte sie nochmals gründlich, vermied es aber sie aufzureiben und ein neues Futter zu setzen. Als nächstes entfernte ich die an das Kleinbodentrieb angelötete, alte Welle und reinigte das Trieb von anhaftendem Lötzinn. Hier konnte ich leider erst einmal nicht mehr tun als die verbogenen Zähne des Kleinbodenrades richten, indem ich einen Schraubenzieher in den Zahngrund des jeweiligen Zahns steckte und den Zahn auf diese Weise nach Augenmaß gerade drückte. Dies war langwierig, doch es gelang ohne das ein Zahn weggebrochen wäre. Selbiges Verfahren wendete ich anschließend auch beim Minutenrad an, auch hier mit Erfolg und ohne das ein Zahn verloren gegangen wäre. Die beschädigte Wälzung bei den Minutenradzähnen stellte ich anschließend mit einer sehr feinen Feile nach optischem Vergleich mit den anderen Zähnen und Augenmaß wieder her. Hier war es mir noch möglich dies mit meinen Werkzeugen zu tun, bei der feineren Verzahnung des Kleinbodenrades war ich mir da nicht so sicher. Als nächstes machte ich mich daran, den verbogenen Zapfen an der Ankerwelle zu richten. Hier steckte ich einen Punzen mit dünner Bohrung auf und bog langsam und mit Gefühl, wobei ich inständig hoffte das der Zapfen sich richten lassen und nicht abbrechen würde. Er tat mir den Gefallen zu meiner sehr großen Freude. Durch diese ersten Schritte wurde ich mutig und wagte mich daran, eines der Lager der Kleinbodenradwelle mit einer neuen Lagerbuchse zu versehen. Zwar war keines der Lager in den Platinen einseitig ausgelaufen, wie das öfter bei Uhren der Fall ist welche lange liefen, aber aus unerfindlichen Gründen hatte das hintere Zapfenlager der Kleinbodenradwelle in etwa den gleichen Durchmesser wie die Welle selbst. Auch waren die Ränder der Bohrung seltsam ausgefranst, so als ob ein verbogener Zapfen versucht hätte, sich Luft zu verschaffen. Wenn ich mir überlege, dass dies ein Lager der gelöteten Welle war, könnte diese Einschätzung sogar stimmen. Wie dem auch sei, die Lagerbohrung war viel zu groß. Da die Abnutzung aber zentrisch verlief, konnte ich ohne lange zu vergleichen die Handreibahle ansetzen und die Bohrung auf den knappen Durchmesser eines KWM-Einpressfutters aufreiben. Ich wählte ein Futter mit einer inneren Bohrung von 0,65 mm, da der Durchmesser des originalen Zapfens wohl 0,6 mm betragen hatte, wie ich mit Hilfe eines Mikrometers aus dem Ansatz des gebrochenen Zapfens feststellen konnte. Das Futter wurde anschließend eingeschlagen, vernietet und mit der Glättahle nachbearbeitet. Bis hierhin ging alles soweit gut. Doch nun war ich an einem Punkt angelangt, von welchem ich nicht mehr weiter kam. Als nächstes hätte ich den abgebrochenen Zapfen an der Ankerradwelle ersetzen wollen, nur war das mit dem Werkzeug über welches ich verfügte nicht machbar. Meine „Unimat“ Drehbank verfügte über keinerlei Einrichtungen, um einen Wellenstumpf einzubohren, ich hätte mir erst eine Vorrichtung bauen müssen. Also tat ich nun was ich schon lange plante, ich erwarb über eBay einen wunderschönen, alten Uhrmacherdrehstuhl von „Wolf, Jahn & Co., Frankfurt / M.“, dazu ein Handschwungrad von „Lorch, Schmidt & Co.“ Es ist dies ein Drehstuhl der Marke „Triumpf“, auch als Drehstuhl „B“ bezeichnet. Er hat einen 6 mm Spindelstock, dazu natürlich auch passend alle Spannzangen sowie sonstige Einrichtungen. Damit war mir nun die Möglichkeit gegeben, den Stumpf der Ankerradwelle in einer Trichterscheibe rotieren zu lassen und mittels eines Hartmetallbohrers in der Länge einzubohren. Anschließend drehte ich ein Stück blauharten Tamponstahl von entsprechendem Durchmesser passend und schlug diesen vorsichtig in die Bohrung ein. Der Zapfendurchmesser betrug auch hier 0,6 mm, wie eine Messung an dem verbliebenen Zapfen ergab. Das Ende dieses Zapfens wurde dann noch mit dem Arkansasstein arrondiert und so war auch diese Arbeit getan. Die Welle, der Probe halber zwischen beide Werksplatinen gesetzt, lief so leicht an, das ein wenig Anblasen des Ankerrades mit dem Gummibläser genügte, um sie in Umdrehung zu versetzen. Da wäre jetzt also „nur noch“ die Welle des Kleinbodenrades ... ...und diese machte mir sehr viel Kopfzerbrechen. Ich forschte in meiner Literatur nach was in so einem Fall zu tun wäre, fand aber nur Beschreibungen über defekte Triebe und das in so einem Fall eine neue Welle zu drehen und ein neues Trieb zu fräsen wäre. Schöne Aussichten ! Die Einrichtungen für diese Arbeit hatte ich nun wirklich nicht. Ich erkundigte mich also bei einem Dresdner Uhrmacher was es kosten würde, ein Trieb zu fräsen und eine Welle zu drehen. Die Preise schwankten zwischen 200,-- € und 400,-- €. UUPS !!! Ob meine Tante dieses Geld wohl ausgeben würde ? Ich bezweifelte es stark. Was also tun ? Wie manchmal in solchen Situationen kam mir der Zufall zu Hilfe. Durch meine Freundin lernte ich Ihren „Haus- und Hofuhrmacher“ kennen, Herrn Dirk Weschke in Cottbus. Dieser ist kein alter Meister, sondern ein recht junger Mann welcher eine bemerkenswerte Eigenschaft hat, die leider einigen seiner Berufskollegen in der heutigen Zeit zu fehlen scheint: Er ist mit Leib und Seele Uhrmacher, einer der seinen Beruf wirklich liebt. Bei Ihm erwarb ich Handstichel für meinen Drehstuhl, was bei anderen Uhrmachern offensichtlich ein größeres Problem darstellte. An diesen Uhrmachermeister wandte ich mich nun mit meinem Problem. Auch er veranschlagte einen sehr hohen Preis für eine neue Welle mit Trieb, brachte aber erstmalig eine völlig andere Idee mit ins Spiel: Warum ein neues Trieb fräsen, wenn man doch erst einmal versuchen könnte das alte Trieb zu durchbohren und auf eine neue Welle aufzusetzen ?! Ich muss zugeben, das ich ziemlich erstaunt war, hatte doch mein Vater (ein alter Fernsehtechnikermeister) die gleiche Idee gehabt, ich hatte aber nichts darauf gegeben da ich es für nicht üblich hielt. So wurde ich nun eines Besseren belehrt. Man findet eben lange nicht alles in den Büchern ... Nun, genau so wurde der Plan dann auch in die Tat umgesetzt. Das Trieb zu durchbohren, überließ ich Herrn Weschke, er hat das größere Werkzeugsortiment und selbstverständlich auch jede Menge Erfahrung auf diesem Gebiet. Wenn ich mich an dieser Arbeit versucht hätte und sie wäre misslungen, nicht auszudenken. Dann hätte ich das Geld für eine neue Welle ausgeben müssen. So brauchte ich mir darüber keine Gedanken zu machen, denn Herr Weschke lieferte eine absolut perfekte Arbeit: Er durchbohrte das Trieb mit einem Bohrer des Durchmessers 0,8 mm, drehte eine neue Welle nebst Zapfen, setzte diese in das Trieb ein und stellte auch die Zahnwälzung des Kleinbodenrades in aufwendiger Handarbeit wieder her. Dies alles zu einem Preis, welchen man schon als fast geschenkt bezeichnen kann. Auch auf diesem Weg noch einmal herzlichen Dank an Herrn Uhrmachermeister Dirk Weschke, 03046 Cottbus, Lausitzer Str. 35. Dieser Mann ist ein Uhrmacher, welchen ich wirklich aus ganzem Herzen empfehlen kann. Dass das von mir gesetzte Futter richtig saß und auch gut passte, sei hier nur am Rande erwähnt. Aber es freute mich doch sehr ... Als letzte verbliebene Arbeit widmete ich mich dem Federhaus. Der Wickelkern war wohl mal nachgearbeitet worden. Aber wie ! Von der Nase, welche die Feder mitnehmen sollte, war nicht viel übrig. Hier blieb nur eines: feilen, feilen, feilen. Nachdem ich die Form wiederhergestellt, eine neue Feder eingebaut und geschmiert hatte, wurden noch das Sperrrad und auch die Sperrklinke nachgearbeitet. Auch dies war eine Arbeit, welche aus vielen Feilstrichen bestand. Aber das Ergebnis war die Mühe in jedem Fall wert. Nachdem dann zu guter Letzt alle diese Arbeiten erledigt waren, fieberte ich voller Spannung dem Ergebnis entgegen. Würde sich all die Mühe gelohnt haben ? Würde das Werk nach Jahrzehnten des Schweigens wieder laufen ? Würde das Pendel wieder schaukeln und die Uhr wieder zu dem Kleinod machen, das sie einst gewesen ist ? Ich war sehr gespannt. Nachdem ich das Werk vorsichtig zusammengesetzt und mit teilsynthetischem Uhrenöl Nr. 3 – 5 geölt hatte, zog ich die Feder auf. Das Ergebnis Das Wunder geschah !!! Das Werk lief selbstständig an, nachdem ich es um 90° auf die Seite gekippt hatte. Dies war aber völlig normal, belastete doch die Umlenkmechanik für die Richtung der Pendelbewegung den Anker, wenn das Werk in seiner normalen Position stand. Das Werk ging also tatsächlich ! Jetzt wurde es höchste Zeit zu meiner Tante zu fahren und das Uhrengehäuse zu holen. Meine Tante war sehr erstaunt, so richtig wollte Sie wohl nicht glauben, dass das Uhrwerk wieder zum Leben erwacht war. Aber sie freute sich doch sichtbar. Für mich war es eine Genugtuung, als ich dann das Quarzwerk wieder aus dem Lenzkircher Gehäuse ausbaute. Was musste ich dabei sehen ? Es war ein Quarzwerk von Selva !!! Nichts gegen Selva, auch ich beziehe viele Ersatzteile von dort, aber ein Uhrmachermeister ?? Ich hatte erwartet, das ein Profi andere Bezugsquellen hat. Leider sah ich meinen schlechten Eindruck, welchen ich von diesem Herren hatte, nur bestätigt. Bevor ich das Werk einbaute, testete ich den Schaukelmechanismus im Werkhalter. Mein großer Werkhalter passte leider überhaupt nicht, aber ein Modellbauschraubstock mit Kugelgelenkhalter leistete hier hervorragende Dienste. Ein wenig langwierig gestaltete sich dann die Einstellung des Ankers, da die Uhr auf Grund der Pendelkonstruktion mit Umlenkung wirklich absolut senkrecht stehen muss, um einen gleichmäßigen Abfall zu haben. Diese Einstellung gelang mir dann nach geraumer Weile. Nun wurde es Zeit, das Werk in sein angestammtes Gehäuse einzusetzen. Dies gelang ohne weiteres bis auf ein letztes kleines Problem: Der Uhrmacher, welcher das Quarzwerk eingebaut hatte, musste das Zifferblatt ein wenig versetzen damit das Werk richtig passte. Natürlich musste ich nun auch diese Korrektur wieder rückgängig machen, was mir abermals eine Freude war. Dabei bemerkte ich das letzte der zahlreichen Vergehen: Der Abschlussreif für das Zifferblatt, welcher aus Messing gefertigt ist, wurde nur auf der rechten Seite durch eine Messingschraube gehalten. Die linke Befestigung bestand aus einem zur Hälfte gekürzten Stahlnagel ... Dass auch dieses Manko beseitigt wurde, versteht sich von selbst. Als nun das Uhrwerk wieder in seinem Gehäuse saß, das Pendel schaukelte und die Uhr lief, da waren alle Anstrengungen und Probleme vergessen. Große Freude ... Die Uhr zeigt wieder die Zeit, getrieben durch ihr altes, mechanisches Werk, so als ob es niemals anders war. Allein dieser Umstand war aller Mühen wert. Und meine Tante bekommt in diesem Jahr ein besonderes Weihnachtsgeschenk:
Rainer Scheibel |
Für weitere Informationen wende Dich bitte an: Rainer Scheibel |
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