Heute, wo
wir für wenig Geld eine Uhr kaufen können, haben wir vergessen, wie der mittelalterliche
Mensch sich den Kopf zerbrach, um die richtige Zeit zu wissen. Alle Erfindungskraft wurde
aufgewendet, bis Mitte des vierzehnten Jahrhunderts die ersten Uhrwerke als zentrale und
maßgebliche Zeitanzeiger auf den Türmen erschienen. Sie waren typisch die Arbeit eines
Schmiedes. Alle Turmuhrwerke wurden nämlich aus Eisen geschmiedet.
Aber später, im neunzehnten Jahrhundert bekamen sie
prächtig geschnittene Messingzahnräder. Zahlreiche dieser alten Turmuhrwerke sind
inzwischen ausrangiert und auf den Schrotthaufen geworfen worden, weil ein modernes
Uhrwerk viel präziser ist. Ein trauriges Ende dessen, was einst mit Liebe und Sorgfalt
gemacht wurde. Zum Glück können wir in Museen und bei Sammlern eine Weile bei einem
solchen alten Uhrwerk stillstehen und zusehen, wie die Räder die Zeit messen.

Seit eh und je ist der Mensch nicht nur auf der Suche nach
einer besseren Zeit, sondern auch nach besseren Zeitmessern für "korrekte"
Zeitangaben. In der hochmittelalterlichen Phase des christlichen Abendlandes (13.
Jahrhundert) gelingt es infolge der Erfindung und schnellen Ausbreitung der
handgeschmiedeten Räderuhr mehr und mehr, die bis dato höchst uneinheitlichen, sowohl
lokal, regional als auch territorial unterschiedlichen Zeiteinteilungen und Zeitmessungen zu
einer "synchronisierbaren Zeit" zu harmonisieren. Diese Räder-Uhrwerke, vom
Mittelalter bis in unsere Tage hinein in den hohen und repräsentativen Türmen der
Kirchen, Rathäuser und Schlösser installiert, verkündeten zunächst durch
Glockenschläge und bald auch über mächtige Zifferblätter an Außenwänden dieser
"öffentlichen" Gebäude eine "amtliche", für die jeweilige Region
allgemein verbindliche "Uhrzeit".
Die ersten Räderuhren mit Gewichtsantrieb (ab ca. 1300)
gaben keine optischen, sondern nur akustische Zeitangaben durch Glockenanschlag. Im
Mittelalter war es meistens so, daß z. B. in einem Dorf keiner eine Uhr besaß, sondern
alle Leute sich nur an der Kirchturmuhr orientieren konnten. Etwas später, bei Verwendung
der Zifferblätter, begnügte man sich zunächst mit nur einem Zeiger, der die Stunden
zählte.

Damit wurden die seit Urzeiten gebräuchlichen überaus
wetterabhängigen Sonnenuhren sowie die für Langzeitmessungen gänzlich ungeeigneten
Wasser- und Sanduhren von einer neuartigen "Zeitmaschine" mit Stunden-Zählung,
einem Meisterwerk der Mechanik, verdrängt. Ihr Geheimnis war das Räderwerk, bei dem
größere Zahnräder kleinere (die Triebe) in Drehung versetzten. Uhrwerke mit
zusätzlicher Minuten- und Sekundenanzeige, also mit exakterer Laufgenauigkeit als die
Stunden-Räderuhren, wurden erst mit der Erfindung des Pendels durch den holländischen
Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens (1656/57) möglich; mit seiner Erfindung
begann das eigentliche "Sekundenzeitalter".
Wen wundert's, daß der Benediktiner Gerbert d'Aurillac die
erste, freilich noch sehr primitive Räderuhr erfunden haben soll. Und damit hätte dieser spätere Bischof von Reims, Lehrer von Kaiser Otto
III und schließlich Papst Silvester II., eine neue Epoche eingeläutet: Die Zeit der
mechanischen Zeitmessung. Eingeläutet darf man hier sogar wörtlich verstehen, denn schon
zuvor hatten die Benediktiner den Beginn ihrer jeweiligen Horen ja mit Glockensignalen
markiert - und das taten sie auch weiterhin, nur jetzt noch pünktlicher.

"Die erste automatische Maschine der Geschichte
lief mit einem Mechanismus namens "Hemmung", der regelmäßig die Kraft eines
fallenden Gewichts unterbrach." So informiert uns der amerikanische
Schriftsteller Daniel J. Boorstin. Und sein Landsmann, der Wirtschaftswissenschaftler
Jeremy Rifkin, sagt: "Zuerst wurde diese Erfindung ausschließlich von den
Benediktinern benutzt, um größere Konformität mit dem Zeitplan der Pflichten zu
sichern. Die Uhr ermöglichte es dem Klerus, die Länge von Stunden zu standardisieren."

Es dauerte freilich nicht lange, bis die Räderuhr auch von
Laien als Ordnungselement erkannt und übernommen wurde. Und da für die meisten
Stadtbewohner eine solche Anschaffung zu jener Zeit noch unerschwinglich war, kam alsbald
ein findiger Kopf auf die Idee, eine große Uhr für alle anzuschaffen. 1344 zeigt die
erste Turmuhr der Welt in Padua die - einigermaßen - genaue Zeit an; ihr Konstrukteur war
der Arzt, Astronom und Astrologe Giovanni di Dondi.

Sowas Fortschrittliches wollte man alsbald auch anderswo
haben. Schon knapp eineinhalb Jahrzehnte später folgte die Premiere nördlich der Alpen.
Deutschlands erste Schlaguhr wurde 1358 am Rathaus in Regensburg angebracht. Hierzulande
scheint man auf diese neue Errungenschaft der Zeitmessung von Anfang an weit williger
abgefahren zu sein als in Italien, wo Goethe sich 1786 die Zeit für diesen
Tagebuch-Eintrag nahm: "Der Mensch, der hier lebendig lebt, kann nicht irre
werden, weil jeder Genuß seines Daseins sich nicht auf die Stunde, sondern auf die
Tageszeit bezieht. Zwänge man dem Volk einen deutschen Zeiger auf, so würde man es
verwirrt machen, denn der seinige ist innigst mit der Natur verwebt."
Große und kleine Fürsten, Bischöfe und Bürgermeister:
Alle wollten sie damals bei der Zeit tonangebend sein, und manchmal wurde heftig darum
gestritten, welche dieser Obrigkeiten maßgebend sei, und welche nicht. In Paris verfügte
der König, daß alle öffentlichen Uhren der Stadt nur nach der seinigen zu stellen
waren. In Venedig verbot der Doge, an der Markuskirche eine Uhr anzubringen - er selber
baute daneben seinen Uhrturm. Und in Deutschland und anderswo mieteten manche Städte
Kirchtürme, um dort neben den klerikalen Geläute kommunale Signale ertönen zu lassen -
beispielsweise die Feuerglocke, die Marktglocke oder die Bierglocke für die
Kneipen-Sperrstunde. In dieser Zeit entstanden deshalb auch Redensarten wie: "Die
Ratsherren versammelten sich Glock elfe." oder "Und jedermann wußte
nun ... "...wieviel es geschlagen hat."


Diese Redewendung findet sich schon in Thomas Murners 1512
erschienener "Narrenbeschwörung", wo es über einen ahnungslosen Bürgermeister
heißt: "Er sol versehen eine Statt/ und weiß nicht, was geschlagen hatt."
Exakt auf die Minute wußte das allerdings überhaupt
niemand. Die frühen Turmuhren hatten im präzisesten Fall Abweichungen bis zu einer
Viertelstunde, aber auch Fehlweisungen bis zu einer ganzen Stunde waren nicht selten.
Schon deshalb begnügte man sich lange damit, nur den Stundenzeiger kreisen zu lassen.
Der Minutenzeiger kam erst Mitte des 17. Jahrhunderts
hinzu, die Sekunde Anfang des 18. Jahrhunderts. Da lag die Erfindung der Taschenuhren
durch den Nürnberger Peter Henlein schon runde 200 Jahre zurück.


Heute sind mechanische Turmuhren nur noch selten in
Betrieb, die moderne Technik mit quarzgesteuerten Werken und auch die aufwendige,
schwierige Pflege der Uhren haben dazu ihren Beitrag geleistet.
Umso mehr engagieren sich die Sammler und Freunde von
Turmuhren um diese spezielle, höchst interessante Gattung der Uhren vor dem Verfall zu
retten und der Nachwelt zu erhalten.
Dies hat allerdings einen speziellen Preis:
Der Turmuhren-Liebhaber braucht viel Platz für die Aufstellung der meist voluminösen
Uhren bzw. Werke.

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