| .  "Knacks! Wieder glücklich einmal
    durchgezwängt", brummte das Stundenrad. "Als ob sich das Wechselradstrieb nicht
    ein wenig dünne machen könnte!" Und der Stundenzeiger machte, halb im Schlaf, einen
    kleinen Luftsprung. Er duckte sich aber schnellstens wieder; denn über sich gewahrte er
    jetzt den Minutenzeiger, mit dem er zwar in Feindschaft lebte, vor dem er aber immer noch
    ziemlich Respekt hatte. Einmal nämlich war sehr zum Verdrusse der ganzen Uhr, der
    Stundenzeiger zu keck geworden und hatte sich vor den Minutenzeiger gestellt, um zu
    probieren, wer der Herr sei. Da war er jedoch schlecht angekommen; denn dieser nahm ihn
    ohne langes Besinnen bei seinen energischen Schritten mit, bis dem armen Stundenzeiger
    fast die Luft ausging und er sich in höchster Angst durch einen Sprung aus der
    Umklammerung rettete. "Guten Abend" sagte er kleinlaut zu seinem einstigen
    Gegner. "Guten Abend, lieber Freund", erwiderte herablassend höflich dieser.
    "Wünsche wohl geruht zu haben. Gib nur acht, daß Du nicht in meine Höhenlage
    kommst. Du weißt, daß ich darin keinen Spaß verstehe!"  "Ja, ja, schon gut." Dem anderen war es sichtlich
    unangenehm, an diesen schwachen Moment erinnert zu werden. Der Minutenzeiger dachte aber
    gar nicht daran, sich mit ihm länger einzulassen, sondern setzte seinen Weg in den genau
    abgemessenen Schritten von 0,0062 mm Größe fort. Er mußte immer gut achtgeben; denn
    wenn er nicht zur gleichen Zeit wie sein kleiner Kollege, der Sekundenzeiger, auf
    "voll" ankam, und sein Herr es zufällig merkte, gab es natürlich Gemurre.
    Jetzt zur Nachtzeit war es ja nicht so wichtig, aber als gewissenhafter Beamter nahm er es
    immer genau. -  
		 In der Geisterstunde jetzt - von zwölf bis eins -
    erwachten die Teile der Uhr. "Ruck-ruck" dehnte sich wohlig die Zugfeder im
    Federhause: "Guten Abend, miteinander", richtete sie das Wort gnädig an die
    anderen.  Sie fühlte sich immer ein wenig als Beherrscherin des
    Ganzen; sie sagte sich nicht mit Unrecht: von mir sind alle abhängig. Wenn ich nicht mehr
    will, können alle einpacken. Aber augenblicklich fühlte sie sich noch recht wohl. Das
    Nachrutschen ihrer Umgänge befreite wieder etwas mehr die in ihr aufgespeicherte Energie,
    trieb das Räderwerk frischer an und die Unruh gab eine kleine Vergrößerung ihrer
    Schwingungsweite als Antwort. Es sah ja nicht sehr ästhetisch aus, wie sie mit ihrem
    verbogenen Reifen durch das Leben schaukelte, aber dafür konnte sie ja nichts, und sie
    machte sich auch keine Gewissensbisse darüber. "So ist's recht, immer mit ein wenig Schneid; dann
    geht's gleich besser", gab sie ihrer Zufriedenheit Ausdruck. "Weshalb ist es
    denn nicht immer so! Kollege Zugfeder kann sich ruhig einmal ausdauernd anstrengen, nicht
    immer so ruckweise. Nach dem Aufziehen geht's doch. Wenn ich auch für jede Umdrehung
    einen halben Tag zur Verfügung hätte, würde ich meine Kraft bestimmt einteilen. Aber
    so, in jeder Sekunde fünf Schwingungen; wie kann man da bei ungleicher Kraft immer so
    genau schwingen, das ist doch ein Unding." 
		 "Da bist du doch aber auch selbst mit schuld,"
    sagte der Anker, "ich hab dir doch schon öfter gesagt, du sollst regelmäßig - oder
    wie der Uhrmacher sagt, mit gleichem Abfall zu mir kommen. Statt dessen geht es immer:
    Tick - tacktick - tacktick! Meinst du, wir machen das so unregelmäßig?` "Nun hör aber auf, du mit deiner
    Maulwurfs-Perspektive kannst natürlich nicht wissen, daß daran die Spirale schuld ist;
    sie hat sich einmal etwas verdreht und ist so geblieben." "Das sieht man
    freilich schon von weitem, daß sie verdreht und verbogen genug ist", bemerkte
    hämisch das Minutenrad, dem die Streiterei Spaß machte. Es sollte sich aber arg in die
    Nesseln gesetzt haben, denn die Spirale blieb ihm nicht die Antwort schuldig: "Ob ich verbogen bin oder nicht, kann dir ja gleich
    bleiben. Ich habe aber Platz genug. Du weißt natürlich nicht, was wirkliche Bildung ist
    und rempelst überall an! Mit dem Sperrad kannst du dich nicht vertragen, das
    Kleinbodenrad kannst du nicht in Ruhe lassen, hin und wieder mußt du das Federhaus
    ankratzen und wenn ich nicht dauernd ausweichen würde, hättest du mit mir auch schon
    Händel angefangen. Aber der Klügere gibt nach!"  "Hahaha!" lachte die Zugfeder, "das war
    deutlich! Ich hätte der zarten und schüchternen Spirale gar nicht soviel Mut
    zugetraut!" Sie konnte sich gar nicht beruhigen, immer wieder hörte man das
    vergnügte Rucksen und Rutschen ihrer Umgänge. 
	 Das Minutenrad hüllte sich in beleidigtes Schweigen. Die
    Anschuldigungen waren berechtigt, aber zugeben - nein, das ging nicht. Rache mußte sein!
    Es überlegte: Wenn die Unruh so weit ausschwingt, daß die Spirale ganz
    in meine Nähe kommt, kann ich sie fangen und zerreißen. Aber allein kann ich das nicht.
    Also muß ich die Zugfeder erst wütend machen. Dann kriegt die Unruh auch was ab, die
    mich damals so geärgert hat. Was kann ich dafür, daß die anderen Räder so zierliche
    Füße haben und ich so plumpe Zapfen. Wartet nur! Und er wandte sich an die Zugfeder "Nun, liebe Zugfeder, ich würde an deiner Stelle
    nicht so laut reden! Du hast ja noch nicht einmal soviel Pflichtgefühl, um nach erst 14
    Stunden noch genügend Kraft abzugeben. Schau einmal die Unruh an! Man glaubt, jeden
    Moment wird sie einschlafen!" Der Hieb saß. Energisch zog sich die Zugfeder zusammen:
    "Ich hätte keine Kraft mehr, um die Uhr zu treiben? Euch werde ich schon zeigen, was
    es heißt, die treibende Kraft einer Uhr zu ärgern! Ihr sollt euch schon wundern!"
    So redete sie sich immer mehr in Zorn und preßte sich an die Wandung des Federhauses und
    zog und zog. - Das Minutenrad half, denn ihm lag ja am meisten daran. Die andern Räder
    gingen wortlos ihres Weges. "Klick-klack" schlugen die Ankerradszähne auf
    die Paletten. Immer energischer wurde der Impuls, den der Anker auf die Unruh übertragen
    konnte. Es machte Spaß, eine Uhr im Vollgefühl der Kräfte zu sein.  
	 Sausend durchschnitten die Unruhschrauben die Luft, Ihnen
    war auch recht wohl zumute. Ein Umgang Schwingungsweite, jetzt einundeinviertel, jetzt
    eineinhalb - so war es gut! "Nicht mehr stärker drücken!" rief die Unruh,
    Jetzt ist's gut!" -- Niemand hörte es. Wohl aber hörten alle das Rucksen im
    Federhaus. Aber das klang gar nicht gut, trotzig und feindlich war es. - Immer stärker
    wurde die Kraft. "Tiek-tack-tick-tack." Bei so energischem Gang
    fiel der ungleiche Abfall gar nicht mehr auf. "Tick-tack-ticketack-ticketack." "Jetzt prellt die Unruh schon!" ganz entsetzt
    piepste es der Anker. Harte Schläge, noch dazu einseitig, bekam er von der Unruh.
    Schweigend vor Erregung hörten es die andern. Alles wartete auf die Katastrophe, die
    kommen mußte. Würde die Gabel brechen? Die Unruhzapfen zu schwach sein?
    "Ticketack-ticke-tacke-ticke-tacke" immer heftiger wurden die Schläge; der
    Anker war schon halb betäubt, nur mechanisch machte er seine Bewegungen noch. Auch der
    Unruh war ein solches Tempo unheimlich: "Nicht so schnell, nicht so stark." Als
    Antwort hörte sie nur ihr eigenes "ticke tacke" im Gehäuse hallen. "Ich
    kann nicht mehr", ächzte die Ellipse unter den Schlägen; sie neigte sich beim
    Anschlag von links nach rechts, von rechts nach links. Jetzt senkte sie sich schon - noch
    ein wenig - und noch etwas- - "Knack" machte es, und totenstill wurde es mit
    einem Male. Beim Aufprall auf die Gabel war die Ellipse herausgefallen.
    Leise piepsend sauste die Unruh leer umher. Rasch nahm ihre Schwingungsweite ab bald
    bewegte sie sich nur noch ganz langsam - und jetzt stand sie ganz still. - Ein Uhr nachts. - © Michael
    Stern/Info-Uhren.de 
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